Donnerstag, 28. Juni 2018

Der Tag danach

Ein dreckiges 0:1 hätte gereicht! Punktgleich mit Mexiko, die bessere Tordifferenz - Mexiko wäre raus gewesen, Deutschland im Achtelfinale. Aber nein! Man musste ja verlieren.

Ach ja: Ich rede von der Vorrunde der Fußball-WM 2018. Erstmalig hat die deutsche Nationalmannschaft die Vorrunde nicht überstanden.

Ist das vielleicht ein Omen des Weltunterganges? Sind personelle Konsequenzen gefragt? Muss sich das deutsche Volk endlich besinnen, sich vom Fußball abkehren und einen neuen Volkssport suchen?

Als Lord von eigenen Gnaden beschäftigen mich diese Fragen.

Nehmen wir uns ein Glas Milch. Setzen wir uns, reden wir. Machen wir eine Bestandsaufnahme. Eine objektive Situationsanalyse. Konnten wir überhaupt etwas reißen bei dieser Weltmeisterschaft?

Ich sage: Nein! Es konnte nicht gehen. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Zum Teil sind sie in der Gegenwart zu suchen, im Einzelfall der Spiele begründet. Teilweise war das Scheitern über einen größeren Zeitraum hinweg zu erklären. Nach dem Schrecken von Kasan ist ein ganzer Tag vergangen und ich hatte Zeit, über die Gründe dieser fatalen Niederlage zu sinnieren.


1. Statistiken


Wieder und wieder sind es lediglich Statistiken, die einem das Leben versauen. Im Fußball wird keine Ausnahme hiervon gemacht. Warum auch? Dafür sind Statistiken doch da! Statistiken sind der unumstößliche Beweis für so viele Dinge. Was Statistiken aussagen, stimmt und ist nichts als ein Fakt. Ein alternativer Fakt vielleicht aber ein Fakt.

1.1. Die 20-Jahre-Statistik


Im Jahre des Herrn 2014 holte das deutsche Nationalteam den 4. Stern. Wir wurden nach 1954, 1974 und 1990 das vierte Mal Weltmeister. Moment! Da scheint ein Muster zu sein.

1954, 1974, 2014 - die Jahreszahlen enden auf 4. Der Intervall ist ein Vielfaches von 20. Lediglich 1990 ist eine statistische Schwankung. 16 Jahre nach dem 2. Titel, 24 Jahre vor dem vierten. Im Schnitt kann man von einem 20jährigen Intervall ausgehen. Da passt 2018 gar nicht rein. Statistisch betrachtet sind wir im Jahre 2034 wieder mit dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft an der Reihe. Gut, sagen wir 2034 ± 12 Jahre. Als statistische Schwankung. Als willkürliche statistische Schwankung, das gebe ich zu, aber nach Churchill sollte man keiner Statistik glauben, die man nicht selbst gefälscht hat. Also muss man auch festlegen, in welchem Rahmen eine Abweichung eine Schwankung ist, damit die Statistik am Ende stimmt.

1.2. Die Statistik über die letzten Titelträger oder die Regel der 3

Es war das Jahr 2006, das Jahr des deutschen Sommermärchens. Die Fußball-WM fand in Deutschland statt und unser Team belegte einen herausragenden dritten Platz. Frankreich hingegen wurde nur Vizeweltmeister.

Den finalen Sieg hingegen trug Italien davon. Und Italien überstand die Vorrunde der WM 2010 in Südafrika nicht.

Dortselbst und in eben jenem Jahr wiederum bestieg Spanien den Thron - und schied 2014 in der Vorrunde aus.

Es gibt ein paar Zahlen, die eine herausragende Stellung bekleiden. Eine davon ist die 3. Sie ist die erste ungerade und die zweite Primzahl überhaupt. Sie ist die 4. Zahl der Fibonacci-Folge. Aller guten Ding seien drei, sagten einst die Gebrüder Grimm. Die 3 erscheint wieder und wieder in mythologischem und esoterischem Zusammenhang. Ich erinnere zum Beispiel an die Heilige Dreifaltigkeit. Die drei Versuchungen Christi. Die drei Haselnüsse für Aschenbrödel.

Wenn zweimal in Folge der amtierende Weltmeister in der Vorrunde ausscheidet, ist dies noch kein statistischer Zusammenhang. Es kann noch eine zufällige Koinzidenz sein. Jedoch deutet sich die statistische Größe an und die 3 sagt, auch Deutschland als amtierender Weltmeister könnte dem Schicksal seiner Vorgänger erliegen - was bewiesen wurde.


1.3. Die unmögliche Titelverteidigung

Hat überhaupt schon einmal eine Mannschaft den WM-Titel verteidigt?

Ja, sogar zwei Mannschaften. Der erste Titelverteidiger war Italien, Fußballweltmeister 1934 und 1938. Später schaffte Brasilien das Kunststück 1958 und 1962. Seitdem gab es keine Titelverteidigung mehr.

Natürlich hätte Deutschland das dritte Land werden können, dass seinen Titel verteidigt, wenn die Statistik nicht dagegen spräche.

Die deutsche Nationalmannschaft hat nämlich noch nie einen WM-Titel verteidigt. Ich erinnere an die 20-Jahre-Statistik. Und sowohl für Italien als auch für Brasilien brachte die jeweilige Titelverteidigung den 2. Titel. Noch nie hat also eine Mannschaft mit mehr als einem Titelgewinn ihren Titel verteidigen können.

Zusammengefasst

Die Titelverteidung durch das deutsche Team war statistisch unmöglich, das Ausscheiden ein statistischer Zwang.

2. Die Politik

Natürlich gibt es noch mehr Gründe für das Ausscheiden aus dem WM-Turnier. Statistiken sind gut und schön und immer ein probates Mittel zur Erklärung. Allein die statistischen Gründe reichen zwar, den schlechten Abschluss zu erzwingen, taugen aber nicht als ausschließliche Begründung.

Als reichte eine zwingender Grund nicht aus, gesellt sich zur Statistik die Politik. Wir reden schließlich nicht von einzelnen Sportlern, die einzelne Siege erreichen sollen und wollen. Wir reden von Nationalmannschaften, also von Nationen, deren Abbilder diese Mannschaften sind.

Und schon kommt die Politik ins Spiel, auch wenn immer betont wird, Sport sei unpolitisch. Er ist es nicht. Sport, besonders aufsehenerregende Veranstaltungen wie Olympische Spiele und Fußball-Weltmeisterschaften trägt immer eine politische Komponente. Es geht letztlich auch um nationales Prestige.

Nationales Prestige reicht in der heutigen Zeit aber nicht aus. An allen Ecken und Enden starrt uns die Globalisierung entgegen. Wir werden aus Fernost bedroht, weil Dinge dort besonders bill preiswert produziert werden. Irgendwie schaffen es die Leute dort auch, die Dinge in rekordverdächtigen Zeiten und Mengen auf die Beine zu stellen.

Wir werden auch von Westen bedroht, weil Donald T. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist. Wir bösen Europäer sind der zweitgrößte Feind der USA. Zusammen mit den Chinesen.

Wir können uns diesem Kampf nicht alleine stellen. Niemand kann das. Aber dafür gibt es ja die Europäische Union.

Nun wird die EU auch in Europa gerne dämonisiert. Populisten beschreiben schon das Ende der EU, Großbritannien tritt ja 2019 aus. Und genau hier setzt die deutsche Fußballnationalmannschaft ein Zeichen.

Vielerorts hagelte es Häme gegen Italien und die Niederlande, weil sie die Qualifikation für das Turnier in Russland nicht schafften. Wir mussten ohne unsere liebsten "Fußballfeinde" fahren, ohne zwei wichtige EU-Partner. Die Solidarität innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft gebietet es, dass wir ohne diese Partner auch nicht mitspielen.

Nun hat sich Deutschland dummerweise aber qualifiziert. Es gab nur einen Ausweg: das Ausscheiden.

Unser Abschied aus dem Turnier ist als nichts weiter als eine Solidaritätsbekundung. Wir Europäer machen die Dinge gemeinsam.

Frankreich und Belgien dürften also im Achtelfinale folgen. Früher war es nicht möglich. Das wäre aufgefallen.

3. Die Spieldetails

Wieder andere Gründe sind direkt in den Spielen zu finden. Und hier, so ungern ich das sage, sind auch personelle Konsequenzen gefragt.

3.1. Der Ausstatter

Stellen Sie sich vor, Sie stünden mit Ihrem Auto an einer Verkehrsampel. Wie unterscheiden Sie, ob Sie fahren dürfen oder nicht?

Ist doch einfach: Bei grün darf man fahren, bei rot nicht. Sagen Sie! So einfach ist es mitnichten. Was, wenn Sie eine Rot-Grün-Sehschwäche haben? Sie wissen vielleicht, dass das grüne Licht immer unten ist. Und wenn die Ampel nur eine Leuchte hätte, die einfach ihre Farbe wechselt?

Eine Auffälligkeit im Spiel gegen Südkorea waren die vielen Fehlpässe. Es gibt hierfür viele mögliche Erklärungen. Es mag vielleicht simples Unvermögen sein. Es mag ein Gemeinschaftsgefühl gewesen sein, denn wenn man miteinander spielen muss, muss man auch teilen. Also gibt man den anderen Spielern auch mal den Ball.

Es mag aber eine weitere Ursache geben. Die Koreaner trugen rote, die deutschen Spieler grüne Trikots. Was, wenn ein Spieler eine Rot-Grün-Sehschwäche hat? Er kann die Spieler nicht oder nur sehr schwer am Trikot unterscheiden. Die Folge: Er spielt den Ball zum Gegner. Ohne Absicht, er weiß es einfach nicht besser.

Das ist also die erste personelle Konsequenz, die gezogen werden muss: Wer auch immer die Trikotfarbe ausgesucht hat, sollte die Verantwortung übernehmen und den Platz für jemanden freimachen, der sich solcher potentieller Probleme bewusst ist und keine Trikotfarben wählt, die verwechselt werden könnten.

3.2. Der Kader

Nach einem solchen Debakel werden naturgemäß Stimmen laut, die den Rücktritt der einen oder anderen Person fordern. Dieser Spieler sollte zurücktreten, jener Trainer auch. Und in der Tat glaube ich, dass der Kader falsch gewählt war.

Sein wir ehrlich: Manche Spieler standen einfach neben sich. Özil und Müller sind zwei Beispiele. Sie sind nicht in der Form ihres Lebens.

Wenn aber der Wille da ist, hieß es vor dem Spiel aus Jogis Stab, sei alles möglich. Bleibt die Frage, warum dieser Wille nicht von Anfang an und direkt in der Startelf auf den Platz gestellt wurde?

Das ist eine weitere personelle Forderung, die man stellen muss. Wir brauchen eine junge und frische Mannschaft. Profi-Fußball ist ein harter Sport, glaube ich. Und so mancher alte Hase auf dem Feld hat in seiner Karriere Großes geleistet und darf mit mit Stolz die Nationalmannschaft verlassen, ist er doch ein 2014er Weltmeister. Dafür müssen dann junge Wilde in die Mannschaft nominiert werden, allen voran dieser Wille.

Allerdings... Wer ist eigentlich dieser Wille und für welchen Verein spielt er? Weder für Bayern München noch für den HSV, das steht fest. Sonst hätten die Bayern das Triple geschafft und Hamburg den Klassenerhalt.

3.3. Die Zuständigkeiten

Wir sind Deutsche und unsere Mannschaft auch. In Deutschland, so sagt die Legende, ist alles geregelt.

Ein jeder Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes weiß, es gibt Regeln für alles. Auch für die Zuständigkeit. Und genau diese vermisse ich im deutschen Nationalfußball.

Lasse ich das Spiel vor meinem inneren Auge Revue passieren, stelle ich fest, dass niemand in der deutschen Mannschaft genau wusste, wann er für den Ball zuständig war und wann seine Zuständigkeit endete.

Einerseits erreichte der Ball einen Spieler und er meinte, er sei gerade nicht zuständig. Statt bis zum Eintritt der Unzuständigkeit mit dem Ball zu laufen und dem Auftrag folgend einfach auf der runde mit Luft gefüllte Stück Kunststoff zu treten, damit es die Torlinie überquere und im Netz hängenbliebe, wurde der Ball an einen anderen, vermeintlich zuständigen und manchmal nicht der eigenen Mannschaft angehörenden Spieler weitergegeben.

Andererseits bemerkte man immer wieder nicht, dass die eigene Zuständigkeit beendet war und lief unnötig mit dem Ball weiter, statt den Ball laufen zu lassen.

Das ist ein eklatanter Mangel im deutschen Spiel, schlimmer fast als die desolate Abwehr. Regelt endlich, wer wann wofür auf dem Spielfeld zuständig ist!

Die Abwehr hat ihrem Namen zu folgen und vor dem eigenen Tor ein Bollwerk zu errichten. Das Mittelfeld hat den Rest des Rasens in schnellen Spielzügen zu überbrücken. Und Thomas Müller? Thomas Müllers Aufgabe ist es, in oder kurz vor dem gegnerischen Strafraum den Ball zu erhalten und am gegnerischen Torwart vorbei ins Netz zu befördern. Oder ihn an Gomez oder Werner zu geben, damit diese die Abschluss suchen und finden.

Eine klare Zuständigkeitsregelung! Kann doch nicht so schwer sein!

Und jetzt?

Nach dem Turnier ist vor dem Turnier. Wir wurden 1990 Weltmeister, rissen bei der EM 1992 und der WM 1994 nicht, um 1996 Europameister zu werden.

Führe ich diese Statistik weiter, wurden wir 2014 Weltmeister, rissen 2016 und 2018 nichts und haben nun die Aufgabe, die Statistik zu erfüllen und 2020 Europameister zu werden.

Nach dem Turnier ist vor dem Turnier und vor dem Turnier fängt für Deutschland diesmal etwas früher an.

Und der echte Fußballfan nimmt alles gelassen und besorgt sich eine Schweizer Flagge. Die Schweiz wird nämlich Weltmeister. Zumindest hat sie eine gute Chance, wenn sie die nächsten vier Spiele gewinnt.


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