Donnerstag, 7. Dezember 2017

Führe uns nicht in Versuchung

Normalerweise könnte mir das haarscharf am unteren Rücken vorbeigehen. Trotzdem erregt es Aufmerksamkeit, wenn der Papst selbst eines der wichtigsten (wenn nicht gar DAS wichtigste) Gebet der Christenheit kritisiert. Ja, das hat er tatsächlich gemacht. Papst Franziskus kritisiert das "Vaterunser"! Hui!
Ja gut, eigentlich tut er es doch nicht. Es geht nur um eine Zeile: "Und führe uns nicht in Versuchung..."

Der Papst meint, es wäre eine schlechte Übersetzung. Irgendwie hat er recht. Oder auch nicht, denn ich kenne das aramäische Original nicht. Und könnte es nicht übersetzen, selbst wenn ich wollte. Aber irgendwie stimmt es trotzdem, dass die Übersetzung unglücklich ist, denn Gott führt ja den Menschen nicht in Versuchung. Der christlichen Mythologie nach macht das der Teufel.

Obwohl...

Verehrter Papst, sofern Sie das hier lesen, bitte ich Sie, meine Worte nicht auf die Goldwaage zu legen. Ich bin nur ein einfacher, fehlbarer Mensch und betrachte die Dinge gerade ein bisschen mit der Freiheit des Dichters.

Was ist eigentlich, wenn es doch Gott ist, der uns in Versuchung führt?

Blasphemie? Mitnichten! Ich gebe nur zu bedenken, dass der Papst einen kleinen Denkfehler gemacht haben könnte, indem er behauptet, Gott führte uns nicht in Versuchung, um dann zuzusehen, wie wir fallen. Die Frage ist: Geht es um das Fallen?

OK. Situationsanalyse:

Nach dem Tod gibt es zwei Möglichkeiten:

  1. Man war gut im Leben. Dann kommt man in den Himmel.
  2. Man war nicht gut im Leben. Dann kommt man in die Hölle.
Eines jeden Menschen freie Entscheidung - Himmel oder Hölle. Aber woher weiß Gott, ob ich ein guter Mensch war oder nicht?

Schon klar, er hat mich beobachtet. Ich formuliere die Frage neu: Woran bemisst Gott, ob ich gut war?

Ein Maßstab wäre, ob ich immer brav nach den Regeln lebte oder mich der Versuchung hingab. Wenn keine Versuchung da ist, kann selbst Gott mich nicht dementsprechend messen. Also liegt es nahe, dass er mich vielleicht doch in Versuchung führen könnte.

Oder es ist doch einfach eine schlechte Übersetzung. Letztlich ist die Bibel ein bisschen wie "Stille Post". Sie kennen das Spiel? Jemand flüstert seinem Nachbarn ein Wort, dieser flüstert es seinem Nachbarn, der wiederum flüstert es seinem Nachbarn...

Nicht viel anders ist es mit der Bibel. Jesus sagte etwas auf Aramäisch. Vielleicht auch auf Hebräisch. Jemand, nennen wir ihn Lukas oder Matthäus, schrieb den Text auf. In aramäischer Sprache. Jemand anders, dessen Namen wir nicht kennen, übersetzte diesen Text ins Griechische. Aus einer Sprache, die unterschiedlich übersetzt werden kann. Schließlich heißt Satan nicht nur Feind sondern auch Ankläger.

Schon bei dieser Übersetzung können Fehler passiert sein. Aber es geht weiter. Jemand weiteres übersetzte die griechische Übersetzung ins Lateinische. Und ein Augustiner-Mönch, dessen Name nicht genannt werden soll, um seine Persönlichkeit zu schützen, übersetzte den lateinischen Text ins Deutsche. Da ist Raum für Fehler.

Also gut, womöglich hat Franziskus recht und die Übersetzung ist miserabel. Es ist der Teufel, der uns in Versuchung führt, nicht Gott. Möglicherweise aber aus demselben Grund: um uns zu testen. Vielleicht auch nur, weil der Teufel böse ist. Vielleicht... Keine Ahnung. Spielt auch keine Rolle. Aber in diesem Fall liegt der Papst richtig, die Übersetzung wäre doof.

Andererseits ist der ganze Satz doof.

Nach Lukas und nach Matthäus lehrte Jesus, Sohn der Maria, seine Jünger dieses Gebet. Allein dieser Umstand ist dann auch geeignet, um manch Geistlichen gegen den Papst auf die Palme zu bringen. Es sagt der Regensburger Bischof, es gehe nicht an, Jesus zu korrigieren (http://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/voderholzer-kritisiert-neuubersetzung-des-vaterunsers).

Verehrter Herr Bischof, niemand korrigiert Jesus. Niemand sagt: "Jesus, mein Freund, so kannst Du das nicht gesagt haben." Franziskus' Aussage heißt doch nur: "Jesus, Bro, irgendjemand muss Dich hier falsch zitiert haben."

Aber das nur am Rande. Mich stört an dem Passus nämlich, je mehr ich über ihn nachdenke, etwas ganz anderes. Warum soll Gott uns eigentlich nicht in Versuchung führen oder (wie die Franzosen die Stelle inzwischen übersetzen) uns nicht in Versuchung geraten lassen? Warum sollte Gott uns vor der Versuchung bewahren?

Jesus, mein Freund, wir wissen beide, dass ich kein Christ bin. Du ja auch nicht. Bist Jude. Aber gerade deshalb wage ich es, Dir mal in die Parade zu fahren.

Dein Dad hat uns Menschen doch mit einem freien Willen ausgestattet. Und mit einem Kopf zum Denken. Natürlich bleibt ein Mensch immer seiner Eltern Kind. So wird es wohl auch mit Gott und seinen Kinder, mit uns Menschen sein.

Aber sind wir nicht alle erwachsen? Wir, die wir keine Kinder mehr sind, meine ich.

Wir sind erwachsene Menschen. Das heißt, wir dürfen selbst entscheiden, ob wir uns verführen lassen. Das heißt sogar, wir MÜSSEN selbst entscheiden. Es ist nicht nur unser Recht, es ist vor allem unsere ureigene Verantwortung!

Es ist eigentlich egal, wer uns in Versuchung führt, ob Gott oder Teufel. Lasst doch alle Götter und Dämonen den Menschen versuchen! Es liegt am Menschen, der Versuchung zu widerstehen, nicht an Gott, uns nicht in dieselbe zu führen oder uns vor ihr zu bewahren.

Ich bin des Aramäischen nicht mächtig, das sagte ich schon. Da man aber nichts wörtlich übersetzen sollte sondern immer sinngemäß, möchte ich eine andere Übersetzung vorschlagen, eine Übersetzung, die viel mehr Sinn ergibt und unsere eigene Verantwortung nicht außen vor lässt:

UND GIB UNS DIE KRAFT, DER VERSUCHUNG ZU WIDERSTEHEN...

Meintest Du das vielleicht so, Jesus? Wenn Du nicht anrufst, um mich zu korrigieren, werte ich das mal als ein Ja.

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