Man sagt, Geschichte schreibe der Sieger und nicht anders
ist es mit den alten Legenden. Dichter schrieben sie nieder, doch woher haben
diese Dichter ihr Wissen? Schaut man sich die alten Sagen an, muss man zu dem
Schluss kommen, dass es in keinem Fall die Aussagen von Augenzeugen waren, die
von Homer & Co. in Schrift verewigt wurden. Es ist schlicht unmöglich, dass
es so war.
Die Odyssee zum Beispiel gibt wieder, was Odysseus erzählte,
nachdem er als einziger Überlebender seiner Mannschaft die Heimat erreichte.
Wer kam mit Perseus zurück, nachdem er die Medusa erschlagen hatte? Niemand.
Wer war bei Siegfried, als er den Drachen erschlug? Das Opfer der Tat. Der
Drachen. Nur die Überlebenden, nur die Heroen der alten Sagen, können also die
Story ihrer Heldentaten erzählt haben und sie erzählten sie natürlich so, dass
sie in einem möglichst guten Licht dastanden.
Doch bleibt die Frage, wie gut dieses Licht bei genauer
Betrachtung wirklich? Drehen wir das Licht etwas heller, damit wir es sehen
können.
Beginnen wir mit… Perseus ist eine gute Wahl. Nicht Herakles
(oder Hercules, wie ihn die Anglophonen und somit mehr und mehr auch wir
nennen), denn Perseus war zuerst da. Er ist nebenbei Herakles‘ Ahne.
Was ist so besonders an Perseus? Welche große Tat
vollbrachte er? Er tötete die Medusa. Ganz unreflektiert hieb er ihr den Kopf
ab.
Nein, eigentlich nicht unreflektiert. Er wagte es nicht
einmal, seinem Opfer in die Augen zu sehen, betrachtete nur ihre Reflexion im
Inneren seines Schildes. Perseus dachte aber keinen Moment darüber nach, wer
eigentlich unter seiner Klinge sterben sollte.
Die Geschichte in Kurzform: Prinz Perseus wuchs im Exil auf,
weil ein Orakel seinem Großvater den Tod durch den Enkel prophezeite. Der König
des Landes, in dem Perseus seine Kindheit und Jugend verbrachte, stieg Perseus‘
Mutter hinterher (was der Junge nicht mochte) und verlangte vom jungen Prinzen
das Haupt der Medusa, damit der Junge aus dem Weg ist. Perseus, offenbar ein
Vorfahre von Barney Stinson, sah den König an und sagte: „Herausforderung
angenommen!“ Medusa war schließlich ein Ungeheuer, das zu töten eine ehrenvolle
Aufgabe war. Ihr Blick ließ jeden Mann zu Stein werden. So etwas kann Mann doch
nicht leben lassen!
Aber war sie wirklich das Monster? Die Kurzfassung:
Medusa war eine Gorgone, eine von drei Schwestern. Und sie
war die einzige Sterbliche unter den Schwestern. Medusa war schön und Poseidon,
Gott des Meeres und Bruder des Zeus, hatte eine Affäre mit ihr. Lag wohl in der
Familie, sich auf uneheliche Techtelmechtel mit anderen (meist sterblichen)
Frauen einzulassen.
Wie so oft blieb auch diese Affäre auf Dauer nicht unentdeckt.
Das Paar machte den Fehler, sich in Athenes Tempel zu vergnügen. Dem großen
Gott geschah dabei nichts. Auf Medusa war die Göttin der Weisheit aber so
sauer, dass sie sie in das Monster verwandelte, als das die Gorgone uns
überliefert wurde.
Ich glaube, wenn sie plötzlich Schlangen als Haare, einen
schuppigen Leib und bronzene Arme hätte, würde sich auch Heidi Klum in die
Einsamkeit zurückziehen und wenn alle Welt sie nur ihres Aussehens und eines
Zaubers wegen, den sie selbst nicht zu verantworten hat, als abscheuliches und
abstoßendes Wesen ansehen würde, verwandelte sich vermutlich selbst Mutter
Theresas Herz zu Stein.
So stand es also um Medusa, das Wesen, das Perseus ohne
Nachzudenken in den Hades schicken wollte. Eine tragische Figur mit einer
tragischen Geschichte, der ein tragisches Ende beschieden sein sollte. Fragte
Perseus danach? Nein, er beschloss einfach der Medusa Tod.
Was hätte Batman getan?
Batman hätte Medusa nicht getötet. Batman tötet nicht. Nein,
Batman hätte sich Gedanken gemacht, wie er die Situation lösen könnte, ohne
dass jemand das Leben verliert.
Batman hätte die Sehschlitze seiner Maske verdunkelt, hätte
wahrscheinlich einen Helm mit elektronischer Sichteinheit und Displays benutzt.
So könnte er Medusa in die Augen sehen ohne zu versteinern.
Batman hätte Medusas Hintergrund recherchiert, um keine
Überraschungen zu erleben. Dabei hätte er ihre Geschichte erfahren, hätte ihre
Tragik erkannt, die der Tragik seiner Entstehung in nichts nachsteht. Batman
hätte nach einer Lösung gesucht. Erst dann wäre er ausgezogen, die große Queste
zu erfüllen. Und nachdem er Medusa gefunden hätte, hätte sich vielleicht
folgender Dialog abgespielt:
Medusa: Verschwinde oder stirb, Mensch!
Batman: Warte! Ich bin nicht Dein Feind.
Medusa: Ha! Schon Tausende Helden versuchten, mich zu töten!
Du wirst es genauso wenig vollbringen!
Batman: Ich will Dich nicht töten, Medusa! Aber der König
verlangt Deinen Kopf!
Medusa: Komm her, großer Held! Versuch, Dir meinen Kopf zu
holen!
Batman: Ich komme nicht als Feind zu Dir! Der König will
Deinen Kopf aber er sagte nicht, dass Dein Körper nicht mehr dran sein soll.
Komm einfach mit mir! Ich verspreche Dir, wir werden einen Weg finden, Dich von
Athenes Fluch zu erlösen.
Natürlich bestünde das Problem mit Medusas Blick aber eine
Augenbinde könnte da Abhilfe schaffen. Der König würde Medusa enthaupten
wollen, doch Batman würde erwarten, dass der König seinem Opfer dabei in die
Augen sieht. Das würde der König nicht riskieren und so würden Batman und
Medusa sich aus dem Staub machen.
Direkt zum Olymp. Göttervater Zeus würde von der
Ungerechtigkeit berichtet und Poseidon müsste sich der Verantwortung stellen,
seine Liebschaft im Stich gelassen zu haben. Sollte Zeus kein Erbarmen haben,
müsste er sich – unsterblich oder nicht – Medusas Blick stellen (als Gott würde
Zeus keine dauerhaften Schäden davontragen aber für den Augenblick zu Stein
werden), bis er Athene befielt, den Fluch zurückzunehmen.
Aber Perseus ist nicht Batman. Er meuchelt Medusa und das
war es. Seine „Heldentat“ forderte ein Opfer. Die Heldentaten der alten Heroen
forderten immer Opfer.
Werfen wir einen Blick auf unseren blonden, blauäugigen und
urteutonischen Superhelden Siegfried. Er wollte sich beim Burgunderkönig
beweisen und zog aus, den Schatz der Nibelungen aus den Klauen des Drachen
Fafnir zu stehl… zu erobern. Der Sieger spricht nie von Diebstahl, immer von
Eroberung. Oder Befreiung. Siegfried wollte natürlich auch das Volk von Worms
vom Drachen befreien.
Aber wer war Fafnir wirklich? Er war ein Zwerg, der den
Schatz ursprünglich als Entschädigung für den Tod seines Bruders erhielt. Dabei
wurde er aber selbst betrogen, denn Loki, der für die Beschaffung des Wergeldes
verantwortlich war, besorgte verfluchtes Gold.
Wie Drachen es oft tun, wollte Fafnir seinen Schatz
natürlich nicht freiwillig hergeben. Aber warum? Aus drachentypischer Gier
(welch Vorurteil!)? Oder weil er sich im Recht glaubte, stand ihm das Gold doch
für den Tod des Bruders zu?
Oder vielleicht aus gänzlich uneigennützigem Grund? Früher
ein gutaussehender Zwerg war Fafnir nun zu einem grässlichen Ungeheuer
verflucht. Sollte dieser Fluch nun einen anderen treffen? Reichte es nicht,
dass sich einer mit diesem Fluch herumschlagen musste? Der junge Siegfried
fragte nicht, schlug den „fürchterlichen“ Widersacher tot und bemächtigte sich
unrechtmäßig des Goldes. Schlimmer noch: Er ließ den Drachen ausbluten und
badete in dessen Blut. Wie barbarisch! Aber er bekam ja die Quittung.
Und Batman?
So wie Fafnir um sein normales Zwergenleben (und um das
Leben seines Bruders) betrogen wurde, wurde Bruce Wayne durch den Mord an
seinen Eltern um eine normale Kindheit betrogen. Es gibt Parallelen zwischen
den beiden und Batman hätte sie gesehen.
Batman würde den Drachen nicht töten. Batman tötet nicht.
Das Bad im Drachenblut hat er auch nicht nötig. Batman hat seine Rüstung.
Batman hätte den Drachen gefesselt und dann den Schatz zu
König Gunther gebracht. Anschießend hätte er das Zeug in den Rhein gekippt,
hoffend, die Abwesenheit des verfluchten Schatzes würde Fafnir auf Dauer
erlösen.
Und der größte Unterschied zwischen Batman und Siegfried und
Perseus: Batman braucht dafür keine Superkräfte. Perseus ist der Sohn des Zeus,
ein Halbgott also. Er bekam den verspiegelten Schild von Athene, eine
Tarnkappe, geflügelte Sandalen. Siegfrieds Vater ist ein Urenkel Odins. Er ist
also auch göttlicher Abstammung und verfügt über Kräfte, die über die eines
normalen Menschen hinausgehen.
Batman ist nur ein Mensch. Er ist clever, intelligent. Er
ist gut trainiert. Er hat Hightech-Spielzeuge. Aber er ist nur ein Mensch.
Batman kann nicht fliegen wie Superman. Er hat keinen Ring, der Dinge aus purer
Energie erschafft. Alles was er tut, tut er mit den Mitteln eines einfachen
Sterblichen. Und trotzdem besteht er sogar gegen gottgleiche Wesen.
Ja, Batman ist der größte Held aller Zeiten. Er ist es auch
deshalb, weil er sich immer wieder selbst kritisch betrachtet und hinterfragt.
Batman hat einen moralischen Kompass, den ich bei den alten Helden immer wieder
vermisse.
Und Batman hat Humor. Er nimmt sich auch selbst nicht zu ernst.
Und genau deshalb schaue ich mir in den nächsten Wochen auch Batmans aktuellen
Kinoauftritt an. In LEGO.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen