Mittwoch, 11. November 2015

Astronauten und andere Entgleisungen

Als Lord bin ich ein Kulturmensch. Ich kann mit Malerei nicht viel anfangen, aber ich höre musikalische Klassiker von Amadeus bis ZZ Top. Kultur pur. Es sei denn, ich bin im Büro. Dort läuft 104.6 RTL. Und was soll ich sagen? Musik ist anders und Abwechslung auch.

Glaubt es oder glaubt es nicht, ich hörte gerade zum mindestens dritten Mal an diesem Tage den "Astronauten" von Sido und Herrn Bourani. Allmählich stauen sich Aggressionen in mir. Gibt es nichts anderes? Ist die Musikwelt wirklich so eingeschränkt?


Meine Ex-Kollegin Frau Wu würde sich bestimmt über die Musik freuen. Sie steht auf Black Music. Nur kann man sich bei dem, was im Radio läuft, trefflich darüber streiten, ob es Musik ist, und eines steht fest: Black ist das nicht. Weiße DJs (und DJanes?) reihen Loops aneinander und ebenso weiße Damen leihen den Loops ihre Stimmchen. Möchtegerngangsta versuchen über die Leiden des Lebens zu rappen und der nach eigenem Bekunden einzige Coach von "Voice of Germany", der als Solokünstler erfolgreich ist, singt im Refrain mehr oder weniger gut gereimte Klischees. Oder nuschelt sie.

Eigentlich neige ich dazu, die Textbesprechungen anderen zu überlassen. Herr Bodenski kann das besser, er hat es studiert. Aber lest mal, was Herr Bourani in der Bridge am Ende von sich gibt:

Und beim Anblick dieser Schönheit, fällt mir alles wieder ein
Sind wir nicht eigentlich am Leben, um zu lieben, um zu sein?
Hier würd' ich gern für immer bleiben, doch ich bin ein Wimpernschlag
der nach 5 Milliarden Jahren nicht viel mehr zu sein vermag

 Kann es wirklich klischeehafter sein? Und warum geht mir gerade Goethes zweiter Faust durch den Kopf?

Noch besser:

Es gibt kein vor und kein zurück mehr, nur noch unten und oben
Einer von hundert Millionen, ein kleiner Punkt über'm Boden

Warte mal! Nur noch unten und oben? Ist das lyrische Ich nicht gerade im Weltall? In der Schwerelosigkeit? Lieber Texter: Mangels Schwerkraft gibt es im All eigentlich kein unten und oben.

"Einer von hundert Millionen"? Kurz vorher waren es noch fast 8 Milliarden Menschen. Wo sind plötzlich die restlichen 7.900.000.000 geblieben? Oder will er mir verkaufen, im All wären 100 Millionen Menschen? Ja, und beim iPhone bewegen sich plötzlich die Fotos.

"Wir hoffen auf Gott", sagt uns Sido, "und ham' das Wunder verpasst". Lieber Sido, es gibt keine Wunder. Schon gar nicht von Gott. Man sagt, Gott hilft dem, der sich selbst hilft. Ich glaube, Ihre Einstellung ist ein bisschen selbstsüchtig. Anstatt auf Gott zu hoffen und Wunder zu erwarten sollten Sie das Heft selbst in die Hand nehmen. "Sei selbst das Wunder!", forderte Gott vom allmächtigen Bruce und genau das ist der Punkt.Wäre ich Gott und nicht nur der Lord, würde ich bei einer solchen Erwartungshaltung nur gelassen den Mittelfinger gerade machen.

Oder wollten Sie genau das zum Ausdruck bringen, werter Sido? Dann sagen sie es doch!

Nein, mir fällt nichts mehr ein! Soll das Musik wirklich sein?
Ist da 'ne Aussage drin? Hat das irgend 'nen Sinn?
Warum quält man uns nur mit Klischeehaftigkeit pur,
strapaziert uns're Ohr'n? Sind wir denn wirklich gebor'n,
um Platidüden zu lauschen? Können wir nicht einfach nur Freundschaft austauschen?

Ich sterb’ ab!

Ich kann’s nicht mehr hören.

Ich halt’ es nicht mehr aus!

Will mein Radio zerstören

Beim Klang des Astronauts.

Ich weiß, der Genitiv des Astronauten ist falsch. Aber es reimt sich im Ansatz und Reimen im Ansatz ist, hört man die Texte der neuen deutschen Musik, heutzutage scheinbar wichtiger als ein sauberes Deutsch. Reim dich oder ich fress dich!

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